Aufrufe gibt es viele, doch dieser ist anders, besonders: Er stammt nicht von den "üblichen Verdächtigen", nicht von der radikalen Opposition, sondern aus der Mitte von Politik und Wirtschaft, von Kultur und Kirche, von CDUlern über SPDler bis zu Grünen. Und doch steht der von vielen ehemaligen PolitikerInnen angestoßene und unterstützte Aufruf in deutlichem Widerspruch zu vielen derzeitigen PolitikerInnen derselben Parteien. Dort heißt es: "Alle Europäer, Russland eingeschlossen, tragen gemeinsam die Verantwortung für Frieden und Sicherheit."
Doch die mediale Berichterstattung über diesen Aufruf ist zum Beleg dafür geworden, dass die Kritik des Aufrufs auch an den Vorurteilen der Medien begründet war. Denn dort heißt es zwar: "Bei Amerikanern, Europäern und Russen ist der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen. Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin, nicht zu erklären." Dennoch werfen viele Kommentare von der "taz" bis zur "FAZ" dem Aufruf Einseitigkeit zugunsten Russlands vor. Begründet ist dagegen der Vorwurf des inneren Widerspruchs, dass einerseits die Menschen wieder Angst vor Krieg haben müssten, aber andererseits nicht haben dürften.
So wird es zu einem zeitgeschichtlichen Dokument, das in keiner Diskussion in Deutschland über Ukraine und Russland - in der Schule wie in der Öffentlichkeit - fehlen sollte.